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1979
Selbstorganisation Sinti und Roma

Die fehlende Anerkennung des Völkermords (Porajmos) an Sinti und Roma führt zum Fortbestehen von rassistischen Stereotypen und zu Ausgrenzung, Diskriminierung und Kriminalisierung. Ende der 1970er Jahre machen Verbände der Sinti und Roma mit öffentlichen Veranstaltungen auf diese Kontinuitäten aufmerksam.

Etwa eine halbe Million Roma und Sinti werden zur Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland ermordet, Hunderttausende verfolgt und ihrer Existenzgrundlage beraubt (siehe Roma und Sinti im NS, 1936-1945). Die fehlende Anerkennung und Erinnerungspolitik in BRD und DDR bewirken, dass auch nach Kriegsende viele rassistische Stereotype und institutionelle Praktiken fortbestehen und zu Ausgrenzung, Diskriminierung und Kriminalisierung führen. Verschiedene Vereine und Initiativen gründen sich in den 50er Jahren um für die Rechte von Sinti und Roma einzutreten. Ihr Hauptanliegen ist es zunächst, den Überlebenden der NS-Verfolgung zu einer Entschädigung zu verhelfen und die Strafverfolgung der Täter, von denen der Großteil nie verurteilt wurde, voranzutreiben. Später setzen sich generell für die soziale Gleichstellung der Sinti und Roma ein. Ein Meilenstein stellt 1971 die Gründung des “Verbandes deutscher Sinti” dar. Mit gezielten Aktionen, Provokationen und Demonstrationen gelingt es den Bürgerrechtler*innen den Völkermord und die fortgesetzte Diskriminierung und Kriminalisierung ins öffentliche Bewusstsein zu bringen. Eine Kundgebung vor der Gedenkstätte Bergen-Belsen 1979 und ein Hungerstreik 1980 in der Gedenkstätte Dachau erreicht große nationale und internationale Medienaufmerksamkeit. Unterstützt werden diese Bemühungen durch eine parallel ablaufende internationale Selbstorganisation von Sinti und Roma. 1971 findet der erste Weltkongress der Roma in London statt. Das Motto „opre roma!“ (roma, erhebt euch!) wird zum Wahlspruch der sich formierenden Roma-Bewegung und ihres Kampfes um gesellschaftliche Gerechtigkeit und Gleichberechtigung. Mit der Wahl der Begriffe „Roma“ und „Romani“ als offizielle Bezeichnungen sollen Fremdbezeichnungen überwunden werden. Auf dem zweiten Weltkongress wird die Internationale Romani Union als Dachverband zahlreicher nationaler und regionaler Organisationen gegründet. Der dritte Weltkongress der Roma tagt 1981 in Göttingen. Angesichts anhaltender Menschenrechtsverletzungen fordern 300 Delegierte aus 22 Ländern die Anwendung der Helsinki-Akte für Roma und Sinti. Der Kongress bildet auch die Basis für den Zusammenschluss der damals neun vorhandenen deutschen Sinti- und Roma-Vereine zum Zentralrat Deutscher Sinti und Roma mit Sitz in Heidelberg. Ziele des Zentralrats gegenüber der Bundesregierung sind die offizielle Anerkennung des Völkermords, die Beendigung der ungebrochen fortgesetzten Sondererfassung und Kriminalisierung durch Polizeibehörden und ein globales Entschädigungsabkommen für deutsche Sinti und Roma. Der Vorsitzende des Zentralrats ist seit seiner Gründung Romani Rose. Nach massivem öffentlichem Druck erkennt der Bundeskanzler Helmut Schmidt im März 1982 die Ermordung der Sinti und Roma offiziell als Völkermord aus rassistischen Gründen an. Der Bundestag ordnet eine außergesetzliche Zahlung von bis zu 5000,- DM für bisher noch nicht entschädigte Verfolgte des NS-Regimes „in besonderer Notlage“ an. Ab dem Jahr 1985 bewirkt der Zentralrat für die noch lebenden KZ-Opfer der deutschen Sinti und Roma eine grundlegende Änderung der früheren diskriminierenden Entschädigungspraxis und setzt in 3200 Einzelfällen Neuentscheidungen der Entschädigungsbehörden durch. Er macht auch die zum Teil aus der Zeit des Nationalsozialismus übernommenen Methoden der rassistischen Sondererfassung bei Justiz- und Polizeibehörden (nach 1945 oft mit dem ehemaligen SS-Personal) öffentlich. 1983 wird die Rom und Cinti Union gegründet, die den Schwerpunkt auf die Unterstützung von Roma-Migrant*innen in Deutschland richtet. Der Sitz der Union befindet sich in Hamburg, der Vorsitzende ist Rudko Kawczynski. Sie unterstützt Roma-Migrant*innen, die in wachsender Zahl seit den 1960er-Jahren als angeworbene Arbeitskräfte oder als Geflüchtete und Vertriebene nach Deutschland gekommen sind. Seit 1995 sind Sinti und Roma gesetzlich als nationale Minderheit und Romanes als nationale Minderheitensprache anerkannt.
Kranzniederlegung der Hungerstreikenden in der KZ-Gedenkstätte Dachau, 1980 Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma
Kranzniederlegung der Hungerstreikenden in der KZ-Gedenkstätte Dachau, 1980
Der Hungerstreik in der KZ-Gedenkstätte Dachau Ostern 1980, der sich u. a. gegen die Methoden rassistischer Sondererfassung unserer Minderheit bei Justiz- und Polizeibehörden - auf der Grundlage der Akten der NS-Zeit und zum Teil sogar mit dem ehemaligen SS-Personal - richtete, fand in der Berichterstattung weit über die deutschen Grenzen hinaus Beachtung.
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Sources
  1. Der Kampf für deutsche Sinti wurde gewonnen. Roma-Flüchtlinge der Balkankriege bleiben rechtlos.. Gesellschaft für bedrohte Völker (2008). December 19, 2008. Date accessed: June 17, 2015.
  2. Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma: Bürgerrechtsbewegung. Date accessed: June 17, 2015.
  3. Jacques Delfeld. 20 Jahre für Bürgerrechte. Dokumentation zur Bürgerrechtsarbeit des rheinland-pfälzischen Landesverbandes Deutscher Sinti und Roma. Landesverband Rheinland-Pfalz.: Verband Deutscher Sinti und Roma, January 1, 2005.
  4. Michail Krausnick. Der Kampf der Sinti und Roma um Bürgerrechte, in: Jacqueline Giere (Hrsg.): Die gesellschaftliche Konstruktion des Zigeuners. Frankfurt/M.: Campus, January 1, 1996. Pages 147-158.
Additional Resources
  1. Zentralrat Deutscher Sinti und Roma. Date accessed: June 17, 2015.
  2. Die Rom und Cinti Union e.V.. Date accessed: June 17, 2015.
  3. Die Geschichte der Roma und Sinti. – Fortgesetztes Unrecht. Date accessed: June 17, 2015.
  4. „Mari budhi hundi well palé ab jekh drom gerdo“ – Matthäus Weiß im Gespräch mit Melanie Weiß. Date accessed: June 17, 2015.
  5. Romani Rose. Bürgerrechte für Sinti und Roma: Das Buch zum Rassismus in Deutschland. Heidelberg: Zentralrat Deutscher Sinti und Roma, 01/01/1985.
  6. Yaron Matras. The Development of the Romani Civil Rights Movement in Germany 1945-1996, in: Susan Tebbutt (Hrsg.): Sinti und Roma in der deutschsprachigen Gesellschaft und Literatur. Frankfurt am Main. Pages 49-63.
  7. Katrin Herold. “Die Erinnerung wird besetzt”. Bleiberechtsproteste der Rom & Cinti Union an der KZ-Gedenkstätte Neuengamme”. 01/01/2007.
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